laß mi amoi no d sun aufgeh segn (busfahren in nepal teil 2)
aus der 2-teiligen serie "busfahren in nepal" - teil 2
8910 km, kathmandu (NEPAL)
im MP3-spieler laueft gerade 'moloko velocet' von den emil bulls. meine gedanken sind beim heutigen abendessen in pokhara. dem zielort dieser busfahrt. bine schlaeft neben mir. brigitte und alfred, bines eltern, sitzen eine reihe dahinter. in rund 2 stunden werden wir ankommen. werden quartier suchen. essen und die naechsten tage planen. es ist alles so wie es sein soll. ich hoere die letzte strophe des liedes: 'handle love with kid gloves-We were on fire baby-lost in lust and love-we left the world behind-but then it all stopped'.
der entgegenkommende tankwagen faehrt mitten auf der fahrbahn. ganz traege bewegt er sich auf seine fahrspur zu. doch unser 'swiss-travel'-touristenbus ist sehr schnell unterwegs. gemessen an der kurvigen bergstrasse viel zu schnell. das wird knapp. wie so oft. doch diesmal ist es eben nicht nur knapp. der bus bremst nicht. wie soll sich denn das ausgehen, frage ich mich.
und in dem moment kracht es. metall und glas bricht. busfahrer und die danebensitzenden werden durch die frontscheibe geschleudert. die fahrgaeste knallen mit ihren koepfen gegen die vordersitze. dann fuer kurze zeit absolute ruhe. ein lautloses realisieren des soeben geschehenen. ein stummes staunen ueber das nie-geglaubte. uns hat es wirklich erwischt.
wir vier schauen uns gegenseitig an. entsetzen in den gesichtern. bine kann schwer reden. ihre vorderzaehne sind nach hinten gebogen. sie blutet aus dem mund. brigitte ebenfalls. wir schauen uns weiter an. sekunden vergehen. dann oeffnet einer die tuer. sie klemmt zum glueck nicht. alle fahrgaeste verlassen den bus.
brigitte handelt sofort. als erfahrene zahnarztassistentin weiss sie was zu tun ist. faehrt mit ihren fingern in bines mund und biegt in einigen versuchen die zaehne wieder in ihre angestammte position. bine selbst steht unter schock. ihr gesicht ist schneeweiss. alfred und ich stammeln mit leiser, erstickter stimme irgendwas von 'wir sind am leben'.
langsam realisiere ich ebenfalls eine blutende wunde an meiner unterlippe. schmerzen verspuere ich keine. mein blick wander umher. lauter zutiefst betroffene menschen. der zerborstene bus steht quer ueber die ganze fahrbahn. kein LKW weit und breit. dieser ist naemlich durch den aufprall ueber eine betonbegrenzung geschleudert worden. und nach mehrmaligen ueberschlag rund 10 meter tiefer im fluss gelandet. die 4 breiten reifen ragen in aus dem wasser. horror und ekel steigen in mir hoch. wo ist der fahrer? stirbt er gerade?
ich unterdruecke die gedanken an ihn. auch jene, wie grosses glueck wie in wirklichkeit gehabt haben. und wie unwichtig so viele dinge sind. auch unsere radreise. arbeitslos zu sein. liebeskummer. geldprobleme. was ist das im vergleich dazu, einfach am lebens bleiben zu duerfen.
nach einigen minuten innehalten holen wir unser gepaeck. setzen uns in ein nahegelegenes lokal in den schatten. alle mehr oder weniger geschockt. alfred fotografiert fuer die versicherung den unfallort. fotografiert die total zerstoerte vorderfront des 'swiss'travel'-fahrzeuges. den tankwagen unten im fluss. die zahlreichen schaulustigen. die helfer, die den LKW fahrer verarzten. die 30 meter lange bremsspur des busses.
wir geben einem polizisten unsere name und verletztungen zu protokoll. ein anderer bus, der uns weiterfaehrt, ist ploetzlich auch da. unglaublich dass das in nepal funktionert.
die verbleibenden 80 km nach pokhara sind der absolute horror. bei jedem entgegenkommenden fahrzeug verkrampfen sich mein verschwitzten haende. bei den grausigen ueberholmanoever ziehen sich meine eingeweide zusammen. mein vertrauen in die faehigkeiten der fahrer ist vollends dahin. gedanken an den moment des aufpralls kann ich nicht verdraengen. auch die moeglichen szenarien wie 'was waere wenn wir frontal gegen den truck geknallt waeren?' oder 'was waere wenn wir im fluss gelandet waeren?' geistern unwillentlich in meinem kopf herum.
der naechste tag am morgen. ich bin so froh, erleichtert und dankbar, gesund zu sein.
wir 4 duerfen zusammen die imposante kulisse der annapurnas bestaunen. ich darf bine in den arm nehmen. darf mit brigitte und alfred reden. und darf den blauen himmel geniessen. und die sonne.
madl hoid mi fest und hoid mi warm,
hoid mi tiaf versteckt in deine oam.
früher sama stundenlang so glegn,
laß mi amoi no d sun aufgeh segn,
laß mi amoi no d sun aufgeh segn.(1)
NACHTRAG (30.09.2003):
die dpa (deutsche presseagentur) meldet am 16.09.2003:
'Mindestens 43 Tote bei Busunfall in Nepal
Kathmandu (dpa) - In Nepal sind bei einem schweren Busunfall mindestens 43 Menschen ums Leben gekommen. 19 Fahrgäste sollen verletzt sein. Auf einer Bergstraße wollte der Bus einem entgegenkommenden Wagen ausweichen und stürzte dabei rund 50 Meter tief in einen Fluss. Das meldet der private nepalesische Sender Kantipur Television. In dem Bus saßen mehr als 80 Menschen. Das Unglück ereignete sich im Distrikt Salyan rund 350 Kilometer westlich der Hauptstadt Kathmandu.'
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(1) + überschrift: 'laß mi amoi no d sun aufgeh segn' von georg danzer