Guatemala 2 - Die Berge im Norden
1427 km, Huehuetenango
In Fray Bartolomè de Las Casas halten wir uns nicht lange auf. Wir freuen uns schon auf kühleres Wetter. So brechen wir wieder vor 6 Uhr in der Früh auf, und radeln die letzten flachen Kilometer auf bestem Asfalt Richtung Süden. Wir ahnen nicht, welch anstrengende Route wir uns da ausgesucht haben um ins Hochland zu gelangen...
Die erste Hügelkette ist rasch und problemlos überwunden. Bei der nächsten Steigung endet die Asfaltstrasse abrupt. Da in Guatemala die Strassen grundsätzlich sehr steil gebaut werden, wird es nun auf Piste gleich doppelt anstrengend. Bine muss schon nach 2 Kilometer schieben. Die Piste beisst ohne Ausruhphasen steil hinauf und hinauf. Bei Kilometer 6 steig auch ich vom Rad.
Mittlerweile ist auch die Hitze wieder voll da. Bine ist kurz einmal vollkommen deprimiert und will einen Bus nehmen. Nach einigem Zureden schieben wir weiter. Auf der steilen Strasse machen wir aber wenigstens relativ schnell Höhe. Auf 700 Meter Seehöhe merken wir, dass der leichte Wind im Schatten schon ein wenig kühler ist. Wie angenehm!
Nach einer längeren Mittagspause geht's weiter. Der Strassenzustand wird immer schlechter. Mittlerweile ist die Trasse zu einer einspurigen Schotterpiste verkommen, die aber nichts an ihrer Steilheit eingebüsst hat. Die Menschen hier leben sehr einfach. Eine Holzhütte mit einem Garten und ein paar Tieren runderherum. Kein Strom, kein fliessendes Wasser. Die Frauen und vor allem die Kinder reagieren regelrecht schüchtern, wenn sie uns sehen. Sie verstecken sich oder wechséln zumindest die Strassenseite. Was die wohl über uns denken?
Ab späten Nachmittag halten wir nach einer Übernachtungsgelegenheit Ausschau. Da die kleinen Ortschaften sehr einfach sind, suchen wir nach einem guten Platz für unser Zelt. Aber in der steilen Hügellandschaft ist das nicht leicht. So wird es immer später. Auf der rechten Seite sehen wir ein grosses Anwesen - die Zufahrtsstrasse ist mit einem Schranken blockiert. Es dämmert bereits, wir packen unser Glück am Schopf und radeln hinein. Es ist eine riesige Finca. Der Besitzer ist nicht hier, aber das Personal bietet uns einen Platz für unser Zelt auf einer Wiese an. Erleichterung!
Vor dem Haus steht ein Wohnmobil mit der Aufschrift "Autriché". Tatsächlich gehört es Katharina, Michael und ihrem Sohn Daniel aus Wien, die auf einer mehrmonatigen Tour durch Zentralamerika unterwegs sind. Auch sie sind heute zufällig hier vorbeigekommen, und hatten dasselbe Anliegen wie wir. Was für ein Zufall.
Nun hat auch das Finca-Personal mehr Vertrauen zu uns, und wir dürfen im Garten - mit Golfrasen, Springbrunnen, Gartenlaube und eigener Familienkirche inklusive -gruft - kampieren! Das Haus der Finca ist extrem edel, mit massivem, teurem Holz und bester Ausstattung. Wie surreal mitten in dieser einfachen Bergwelt.
Die österreichische Familie lädt uns schliesslich zum Abendessen ein, das wir unter einem Vordach einnehmen. Plötzlich entlädt sich ein tropisches Gewitter mit grosser Wucht - es schüttet förmlich aus Kübeln, Blitze schlagen in nächster Nähe ein. Der Regen trommelt so heftig auf das Aluminiumdach, dass wir uns gegenseitig kaum verständigen können. Aber was für ein toller Ausklang dieses so anstrengenden Tages!
Die Hoffnung, dass das Unwetter nur von kurzer Dauer ist, erfüllt sich nicht. Die ganze Nacht über regnet es (unser Zelt blieb übrigens komplett trocken!). Bei strömenden Regen setzen wir am nächsten Morgen unseren Weg fort - nachdem wir uns herzlich vom Finca-Personal und den Wiener Wohnmobilreisenden verabschiedet haben.
Der starke Regen hat die Schotterpiste extrem ausgewaschen. Lacken und Bäche überall auf dem Weg. Unentwegt geht es entweder steil berauf oder bergab, sodass wir überhaupt fast nicht mehr radeln können. Wir haben noch 12 Kilometer Piste vor uns, und brauchen dafür bei 4 km/h Schieben mitsamt Pausen über 4 Stunden. Dazwischen kommen wir noch durch Campur, dem grössten Ort dieser Strecke. Es ist Markttag, und die Stände sind alle mit schwarzen Plastikplanen vor dem Regen geschützt. Gleich danach geht die desolate Piste so steil hinauf, dass ich mir denke warum sie nicht gleich auf den Strassenbau verzichten...
Bei Pajal erreichen wir wieder Asfalt. Nur 50 Kilometer Piste hatten wir zu bewältigen, aber über 2000 Höhenmeter bei brutalen Steigungen. Rauf aufs Hochland - we did it the hard way...
Von dort holpern wir wieder eine Piste hinunter - nach Lanquìn. Und bestaunen die tolle Grotte, die wirklich riesig ist, und bei weitem noch nicht voll erforscht ist. Ein Fluss tritt vor dieser Grotte an das Tageslicht. Das Wasser ist vom Unwetter noch schlammbraun. Ein Zeichen wie schnell das Wasser durch das karstige Gestein rinnt.
Ansonsten erholen wir uns in diesem Ort. Und tun nichts weiter als nichts.
Wir hatten von Anfang an geplant, dass wir hinauf zur Asfaltstrasse einen Lift nehmen werden. Lanquìn ist nur ein kurzer Abstecher gewesen. Nach einigem Warten nimmt uns dann tatsächlich ein Pickup hinauf nach Pajal.
Die Weiterfahrt Richtung Cobàn ist sehr schön. Höhenmässig geht`s weiterhin auf und ab, aber nun ist das Radeln interessant und unvorhersehbar. Auch die Leute sind wieder sehr freundlich und angenehm. Es ist ein fruchtbares Land, mit viel Landwirtschaft. Wir sehen unsere ersten Kaffeeplantagen!
Aufgrund des kühleren Klimas können wir nun unsere Gewohnheiten ein wenig ändern. Wir starten nicht mehr so früh, da wir nun den ganzen Tag über Radeln können. Wir packen öfters unseren Kocher aus, um entweder zu Kochen oder auch einmal eine Tasse Kaffee zu trinken. Ja, dafür hatten wir bei 40 Grad im Schatten das letzte Monat hindurch eigentlich nie eine Lust. Und einmal benutzen wir sogar ob der Kühle in einer Hospedaje erstmals unsere Schlafsäcke.
Am späten Nachmittag vor Carchà entdeckt Bine im Strassengraben einen kleinen Hund, der offensichtlich an seinen Vorderbeinen verletzt ist. Er rührt sich kaum, ist apathisch und macht den Eindruck, dass er sich fast nicht mehr bewegen kann. Wir versuchen ihn vorerst mitzunehmen, um ihn zu einem Tierarzt zu bringen. Doch er ist sehr ängstlich und wehrt sich. Als wir ihn mit Wasser und Keksen versorgen, wird er plötzlich aktiv und geht sogar herum. Wir merken schliesslich erleichtert, dass er auch ohne unserer Hilfe überleben wird. So radeln wir nach über einer Stunde weiter, und erreichen bei Dämmerung gerade noch die nächste Stadt.
Über San Pedro Carchà gehts nach Cobàn (dort kauft sich Bine eine neue Fotokamera), und weiter nach San Cristòbal Verapaz. Eine kleine übersichtliche Stadt an einer Lagune gelegen. Mit einem tollen Donnerstagsmarkt, einem schönen Hauptplatz mit kleinen Essenständen am Abend, und mit einem sehr angenehmen Klima auf 1.400 Metern! Die Hotelräume verfügen über keine Ventilatoren mehr, weil es angenehm kühl ist. Das geniessen wir sehr.
Weiter geht's wieder mal auf einer Schotterpiste und Schritttempo. Ein paar Kilometer nach San Cristòbal hat es vor einigen Monaten anscheinend einen Bergsturz gegeben. Ein ganz Hang ist talwärts gerutscht und hat nicht nur die Strasse zerstört - wie ein Kreuz an der provisorisch errichteten Hilfspiste beweist...
Von 1.500 Metern Seehöhe holpern wir auf der Piste steil hinunter zu einem Fluss, der auf unserem Höhenmeter nur mehr auf knapp über 500 Metern liegt. Bei der Abfahrt haben wir immer wieder schieben müssen, weil die Strasse hier in Guatemala so unendlich steil gebaut werden. Die nächsten 2 Tage sind wir damit beschäftigt, uns und unsere schwer bepackten Räder auf 1.900 Meter Seehöhe zu bringen. Mit grösster Anstrengung müssen Bine und ich treten - normale Steigungen gibt es hier fast nicht. Wenn es einfach zu viel wird, müssen wir schieben. Ich war in keinem anderen Land, das ähnlich steile Strassen baut wie Guatemala.
Dazu eine Quizfrage von Bine an die Leser: Wenn man sein Fahrrad mit 0 km/h (laut Tachoanzeige) hinauf schiebt, wielange braucht man dann für eine Stecke von 10 Kilometern Länge...?
Für mich bedenklich ist der Zustand der steilen Berghänge - diese sind an dutzenden Stellen, und insgesamt über Kilometer samt Bewuchs, Boden und Steinen komplett abgerutscht. Die Strasse ist laufend mit Geröll überrschüttet worden, beziehungsweise selbst ins Tal abgerutscht. Dieser laufende Prozess wird von der starken Abholzung gefördert, wenn nicht sogar verursacht. Dass auf dem nackten Fels in den nächsten 50-100 Jahren nichts wachsen kann, ist augenscheinlich.
Über Chicamán, Uspantán kommen wir schliesslich nach Cunén, wo wir 2 Tage zwangspausieren müssen, weil Bine mit leichtem Fieber leicht krank ist. Nach 300 Höhenmeter hinauf, geht es dann rund 1000 Meter hinunter zum Rio Chixoy bei Sacapulas. Bine reicht es mit den Bergen und nimmt ein Collectivo (Sammeltaxi) vor nach Huehuetenango. Ich radl die Strecke an dem selben Tag. Knappe 2000 Höhenmeter werden es für mich, plus ein brutales Unwetter mit Hagel, plus viele Schiebepassagen, plus der Information in Aguacatán, dass Dortmund im Championsleague-Finale steht. Ziemlich fertig erreiche ich abends Huehuetenango.
Die Stadt liegt am südlichen Rand der Cuchumontanes Berge, den höchsten in ganz Zentralamerika. Die Stadt ist voller Leben, und wir geniessen das Chaos, den Lärm und den Dreck auf dem Busterminal, den Strassen und in dem riesigen Markt!