China I – Xinjiang 1 (Uli)
11.9.2008 - 28.9.2008
8376 km, Aksu (CN)
Irkesham – Kaschgar (245 km)
Aufgeregt sind wir natürlich schon sehr. Schliesslich reisen wir in das – jetzt im Olympiajahr 2008 besonders – restriktive China ein. Da kann mit Visaablehnung bis gesperrter Grenze so allerhand passieren. Aber es geht wiedereinmal viel, viel besser als erwartet. Besonders freundliche und hilfsbereite chinesische Grenbeamten, so was haben wir auf dieser Reise überhaupt noch nicht gehabt. Sie füllen sogar die Formulare für uns aus!
Tatsächlich in China!
Nach all den Formalitäten betreten Bine und ich unser elftes Land auf dieser Reise. Während Dirk, den wir überraschenderweise an der Grenze treffen, einen Lift nach Kaschgar organisiert um möglichst schnell zum Everest Base Camp zu gelangen, bereiten wir uns auf die bevorstehenden 250 Kilometer nach Kaschgar vor. Uns zieht es natürlich auch sehr in diese Stadt, denn mit Kaschgar haben wir den ersten grossen Meilenstein unserer Tour erreicht. Ausserdem können wir uns dort nach all den Monaten Radlfahren so richtig gut erholen, mit gutem Essen und allem drum und dran. Yuan, die chinesische Währung, ist schnell getauscht,
Bine auf dem Weg nach Kaschgar (CN, September 2008)
wir werden auch unsere letzten kirgisischen Som los. Und wir probieren gleich das chinesische Essen aus – was für ein Unterschied zur tristen zentralasiatischen Küche! Es schmeckt einfach gut. Nur dass mit der Schärfe müssen wir noch in den Griff bekommen, aber da alles frisch zubereitet wird ist das nur eine Frage der Kommunikation. Nicht so wie in Indien, wo alles fix und fertig und daher sauscharf ist. Das Angebot in den kleinen Geschäften ist auch um einiges umfangreicher als in den Ländern davor.
Und dann rollen wir los, die ersten Kilometer in China. Auf bestem Asfalt. Aber mit einer „tollen Abfahrt hinunter nach Kaschgar“ wirds vorerst einmal nichts. Vorerst geht’s einmal wieder bergauf. Das sind wir aber gewöhnt. Wir überqueren in den 2 ½ Tagen mehrere Hügelketten und kommen 2 mal immerhin wieder bis auf 3000 Meter hinauf. In der ersten Nacht blitzt und donnert es in den Bergen im Norden, aber wir bleiben bis auf ein paar Regentropfen verschont.
Auf dem Weg nach Kaschgar (CN, September 2008)
Trotz der Höhenmeter und Gegenwind sind wir aber nicht mehr zu stoppen, wir sind bereits
innerhalb des Magnetfeldes von Kaschgar, und wir werden magisch davon angezogen. Nach 250 Kilometer und 2100 Höhenmetern radeln wir am 3. Tag schon zu Mittag in die Stadt ein. Nach einem halben Jahr on Tour und fast 8.000 geradelten Kilometer. Ein grosses Ziel für uns ist erreicht!
Der erste Meilenstein
Wir nehmen ein Spitzenzimmer im Chinibagh Hotel für nur 7 Euro. Fast das billligste Hotel der ganzen Tour, aber auf was für einem Niveau! Nur die Kakerlaken stören vielleicht ein bisschen, aber es sind nur die Kleinen, die Süssen... Der erste Abend vergeht für mich wie im Traum, viele Gedanken im Kopf. Zusammen lassen Bine und ich unsere tolle Reise Revue passieren. Irgendwie haben wir was für uns
ganz besonderes geschafft. Besonders seit Aktau in Kasachstan haben wir eine Supertour hingelegt, mit vielen tollen und einprägsamen Erlebnissen. Und mit Tadschikistan hatten wir das beste Highlight das wir uns vorstellen können. Zufrieden und glücklich geniessen wir das Essen und die Biere im angeschlossenen John’s Cafe. Auch später im Hotelzimmer reden wir noch lange weiter. Auch Bine ist mächtig stolz auf ihre Leistung, besonders über die Fahrt durch den Pamir in Tadschikistan. „Ich bin’s einfach geradelt, verstehst du?!“ Das verstehe ich, und sie kann und soll stolz auf sich sein.
Getrocknetes Getier - am Sonntagsbasar in Kaschgar (CN, September 2008)
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Beim Viehmarkt in Kaschgar (CN, September 2008)
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Wir bleiben schliesslich und endlich insgesamt 2 Wochen in dieser Stadt. Wir merken, dass wir beide nun eine längere Pause benötigen. Und Kaschgar ist dafür auch der ideale Ort. Natürlich besuchen auch wir den berühmten Sonntagsbasar und den noch berühmteren sonntäglichen Viehmarkt. Aber es ist für mich nicht so beeindruckend wie erwartet, um nicht zu sagen enttäuschend. Schon einmal war ich hier, im Jahre 2000, vom Torugart Pass kommend bevor ich durch Westtibet nach Kathmandu in Nepal radelte. Damals war Kaschgar ein Traum, eine neue Welt, chaotisch und wahnsinnig interessant. Der Nachtmarkt, die Stände, der Lärm, die Gerüche. Jetzt, 8 Jahre später, habe anscheinend sowohl ich mich als auch die Stadt Kaschgar verändert. Ich selbst habe wohl zu viel ähnliches in den Jahren dazwischen erlebt. Man kann Geschichte nicht einfach so wiederholen.
China – Neu
Als wir 2 Tage vorher – 20 Kilometer vor Kaschgar – auf die Hauptstrasse nach Ürümtschi stiessen, traute ich meinen Augen nicht. Eine topmoderne Autobahn – mit Notrufsäulen, beiderseitigen Leitplanken, je 2 Fahrspuren und Pannenstreifen für beide Fahrtrichtungen und Mautstellen. Ok, es wäre nicht Asien wenn wir beide nicht ohne Probleme darauf radeln könnten. Aber auch die Umgebung des Chinibagh Hotels, wo ich auch damals abgestiegen bin, habe ich nicht erkannt. Keine engen Strassen mehr, kein Chaos mehr, kein Asienfeeling mehr. Stattdessen 4-6 spurige Strassen überall!! Riesige, leblose Plätze. Polizisten in weissen Handschuhen sorgen für Ordnung. Alle Ampelanlagen zeigen einen Countdown bis zur nächsten Grün- bzw Rotphase. Geschliffene Häuserfronten, austauschbare Geschäfte. Hunderte Motorroller, aber alle strombetrieben. Fast keine einzige Fahrradrikscha mehr! Der damalige beeindruckende Nachtmarkt ist nun auf eine Länge von rund 200 Metern reduziert. Der dichte, enge, chaotische Viehmarkt ist an den Stadtrand verbannt worden, und dort ist nicht mehr viel los. Die Altstadt existiert nur mehr innerhalb ein paar Gassen. Brutal wie schnell und was die Chinesen zu Tun im Stande sind. Es ist alles „chinesisch-neu“, und das „Alte-nicht-chinesische“ gibt es nicht mehr.
Am Nachtmakt in Kaschgar - super Fisch zum Essen (CN, September 2008)
Wir werden später merken, dass so gut wie alle Städte in West-China so ausschauen. Uninteressant, fad und austauschbar. Steril, kontrolliert und für asiatische Verhältnisse irgendwie „tot“.
Radreisende Treffen im Chinibagh
Nichtsdestotrotz fühlen wir uns hier sehr wohl. Das Chinibagh Hotel – wie viele andere Hotels in China – bietet Zimmer für verschiedene Budgets, für verschiedene Klientels von Touristen und Hotelgästen. Hier hausen Budgettraveller in Schlafsälen oder billigen 2- oder 3-Bett Zimmern. Aber es gibt auch komfortablere Zimmer (ohne Kakerlaken?) für Gruppen- oder Geschäftsreisende. Das finde ich gut. So treffen wir auf eine Menge verschiedenster Reisender. Viele Gruppenreisende aus Holland, Frankreich und Deutschland. Viele Backpacker aus aller Welt. Den meisten Kontakt hatten wir klarerweise mit anderen Radreisenden. So viele wie erwartet waren es nicht, schliesslich haben wir Olympia Bejing 2008 Jahr, da haben viele – ganz gemäss dem olympischen Gedanken – kein Visum für China bekommen. Aber die Runde ist gemischt und sehr interessant. Ein Belgier, von seiner Heimat bis in die Mongolei geradelt, ist nun auf dem Heimweg.
Sehr nettes 'Globetrotter Treffen' im Chinibagh Hotel in Kaschgar (CN, September 2008)
Er radelte in der Mongolei mit einer Australierin – ebenfalls anwesend -, die sich spontan entschloss ihre allererste Radtour durch die Mongolei zu führen. Ein
britisches Paar unterwegs von Kirgisien nach Vietnam, der Brite
Matthew auf Weltreise,
Alvaro seit 5 Jahren unterwegs. Der Höhepunkt dieses Zusammenkommens ist ein gemeinsames Abendessen im Innenhof des Chinibagh Hotel. Gebratene Hühnchen, Brot, Bier wird gekauft. Motorradreisende und Backpacker schliessen sich an. Verschiedenste Typen, verschiedenste Ziele, vereint per+ Zufall an einem bestimmten Ort und einer bestimmter Zeit zu einem gemütlichen Zusammensein. Danach geht jeder seinen Weg. Schön!
Auch meinen Geburtstag feiern wir dort. Neben super Essen und gemütlichen Zusammensein ist natürlich der ASUS Eee PC, den mir Bine schenkt, der Knaller – ein Mini Laptop Computer, mit wir die Homepage besser managen können und ich sogar für die Homepage programmieren kann! Das WLAN inklusive Webcam probieren wir gleich in einem WiFi Cafe aus. Toll!
Oft essen wir für 60 Cent in den kleinen Essensständen Reis mit diversen Gemüse. Wir telefonieren endlich einmal ausgiebig mit unseren Leuten per Skype oder chinesischer SIM Karte. Pflegen unsere Homepage per Internetcafe oder per Asus Laptop im WiFi Cafe „Karakum“. Und wir reinigen – so wie alle rund 2.000 Kilometer (naja, ok, es sind vielleicht nicht immer nur 2.000 Kilometer...) – unsere Ketten, Ritzelpakete und Kettenblätter unserer Räder.
Das Ende vom Paradies naht
Die Tage vergehen, auch ohne dass wir grossartig etwas unternehmen, wie im Flug. Reisende kommen und gehen, aber wir registrieren auch dass es immer weniger werden. Das Ende der Saison naht, das merken wir. Auch das Wetter wird kühler, abends draussen sitzen wird immer unangenehmer.
Für uns ein Zeichen, aufzubrechen. Schliesslich steht der Herbst und Winter vor der Tür. Und vor uns liegt das gigantische Land China. So ungefähr 7.000 Radkilometer werden es wohl sein, ehe wir ein neues Land in SO-Asien erreichen wollen. Also, auf geht’s!
Am Sonntagsbar in Kaschgar (CN, September 2008)