der abschied
aller anfang ist schwer
550 km, szeged / hungary
'wenn meine liebste 95-jährige grossmutter meint, mich auf meiner reise beeilen zu müssen, sollte ich sie noch lebend wiedersehen wollen, wenn die abende mit freunden melancholischer werden, wenn gespräche über die baldige abreise ein wenig wie vorwürfe klingen, wenn bine und ich nun absolut genug haben von geldausgeben, 'ausrüstung checken', 'fahrrad fertig machen' und von der laberei anderer leute über unsere fahrradreise, wenn ich in der früh mit herzklopfen aufwache, wenn meine mutter immer öfters 'jetzt wirds langsam ernst' von sich gibt, wenn mein vater mir regelmäßig aus der zeitung von bombenanschlägen, giftigen tieren oder todbringenden krankheiten berichtet, wenn die dichte der ratschläge - schusswaffen, messer oder pfefferspray unbedingt mitzunehmen - steigt... dann ist der abschied, die abreise nicht mehr weit...'
dieser erste und einzige absatz entstand rund eine woche vor abfahrt. der unausweichliche endspurtstress hat es unmoeglich gemacht, einen ersten bericht schon vor der reise zu veroeffentlichen. hunderte dinge waren zu erledigen, dutzende habe ich bis zum dritten august nicht hinbekommen. erst langsam faellt nun der ganze stress ab. nach den ersten zehn tagen auf achse finde ich nun in szeged (ungarn) ein wenig zeit und ruhe, dem oben zitierten absatz noch weitere hinzuzufuegen.
zwei tage vor abreise, am donnerstag dem 1. august 2002, laeutet um 7 uhr frueh die tuerklingel. bine steht vollbepackt und schwitzend vor dem hauseingang. nach einer 13-stuendigen odyssee - verspaeteter zug in regensburg, kein anschluss in passau, umstieg in einen alternativen zug ueber muenchen und salzburg, fahrt im gepaeckwagen liegend am boden verbracht - erreicht sie das, der fruehen tageszeit zum trotz, schwuele wien. bine erschoepft und gestresst, ich zugegebenermassen verschlafen und ueberrascht - habe ich sie doch erst im laufe dieses tages erwartet. wir nehmen uns gluecklich in die arme. das lange planen, das gerede, das telefonieren, das warten hat ein ende. jetzt gehts endlich los.
abends sitzt der engste familienkreis und bine gemuetlich im schrebergarten. das abschiednehmen nimmt seinen lauf. mein bruder michi erzaehlt vom kellergraben und wasseranschluss. zusammen mit seiner frau helena erwarten sie im september ihr erstes baby. in dem neuen haus soll genug platz fuer alle sein. man kann sagen, dass sein leben sich momentan grundlegen von dem meinen unterscheidet. lasse ich doch familie, freunde, beruf und wohnung hinter mir und ziehe ins ungewisse. meiner grossmutter 'auf wiedersehen' zu sagen beruehrt mich sehr. einerseits hoffe ich wirklich sehr sie wiederzusehen. andererseits wuensche ich ihr auch, dass ihr - mit 95 jahren schon beschwerliches - leben auch einmal ein ende nimmt. vielleicht sehe ich meine geliebte omama nie wieder.
einen tag vor abreise lade ich freunde zum grillen im freien ein. es kommen viele, und wenn auch die wuersteln nie wirklich ganz 'durch' waren, so genoss ich dieses fest doch sehr. die stimmung war locker, lustig und positiv. abschiednehmen 'light' sozusagen.
dritter august. abreisetag. natuerlich waren noch nicht alle dinge erledigt. der abfahrtstermin 10 uhr, wurde geandert auf gemeinsames abschiedsmittagessen um 13 uhr. ich hatte aber wenig appetitt, war abgelenkt und nervoes. vor der abfahrt musste ich mich dann endgueltig von meinen eltern verabschieden. sie geben mir noch ein jausenpaket mit - und meine mutter schluchzt: 'schick mir bitte viele mails!'. das tut weh.
zusammen mit freunden radeln bine und ich nun endgueltig los. das tagesziel ist der neusiedler see, an der ungarischen grenze gelegen. mein bruder christoph stoesst noch hinzu. abends sitzen wir noch gemuetlich am campingplatz zusammen. am naechsten morgen die letzten 'lebe wohl'-glueckwuensche, dann bleibt nur noch mein bruder hier. wir beide wissen - jetzt wirds ernst. er schenkt mir seine halskette, die mir schon immer gefallen hat. und ein foto von uns beiden, auf dem er auf der rueckseite schreibt: 'always remember the good days!'. wir umarmen uns und beginnen zu heulen. als er mit dem auto wegfaehrt strecken wir beide einen arm mit geballter faust in den himmel. brueder fuer immer!
ich brauchte zwei tage mich davon zu erholen. das heisst das schwierigst einer langen reise ist das losfahren und das ankommen. ersteres kann ich bereits voll bestaetigen. so starke emotionen hatte ich bis jetzt noch nie erlebt. sie gehoeren zum ersten tiefen eindruck dieser reise - meiner grossen reise.