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radreisen
in Vorbereitung: 3onTour!
level 4 plus

  
Nepal
2. Juli 2003

level 4 plus

8710 km, pokhara (NEPAL)

mit einem schlauchboot den seti river hinunter. die ersten und wohl einzigen eindruecke eines rafting-neulings.

ein dringendes menschliches beduerfnis treibt mich um 6 uhr frueh aus dem zelt. es nieselt immer noch. die ganze nacht hindurch hat es geregnet oder sogar in kuebeln geschuettet. nur in unterhose, regenjacke und sandalen bekleidet stapfe ich hinunter zum fluss. doch der weg zum 'stillen oertchen' ist blockiert. milchig-truebes wasser klatscht gegen jenen felsen, der am vortag noch etwas 'privatsphaere' geschaffen hat. das flache, steinige ufer an der aussenseite der flussbiegung ist bis zu den baeumen hinauf unter wasser. die felsen am steilen rand der reissenden flut sind nicht mehr sichtbar. ich schaetze den pegelstand auf mehr als einen meter hoeher ein, als am vorabend.

ein blick auf den seti river laesst ein unheimliches, beklemmendes gefuehl in mir aufsteigen. vor mir 50 meter breite, rasendschnelle, schlammbraune flut. ein maechtiger, meterlanger baumstrunk schiesst an mir vorbei. verschwindet wie ein leichtgewicht des oefteren in tiefen wellentaelern, um wenig spaeter steil aufgerichtet wieder zu erscheinen. die gewaltige kraft des wassers laesst das treibgut wie ein papierschiffchen den fluss hinunterschnellen. an der innenseite des 90 grad knicks kracht der seti in tosenden, meterhohen wellen ueber felsen. 'ultimative kick', 'adrenalin pur' hin oder her. sich mit einem schlauchboot hier freiwillig hineinzubegeben ist doch reiner selbstmord.

'er war ein drachenflieger von der verwegenen art,
einer, der die angst nicht erfunden hat.
der flog nicht gern bei ruhiger luft, viel lieber bei wind,
doch eines tages war der wind ihm böse gesinnt.
da ging der flug ganz jäh zu ende,
auf einem felsen schlug er flach zu brei,
und noch beim letzten atemzug hört er stimmen wie von weit:
da sagt wer:
jedermann, deine tage sind gezählt,
jedermann, du hast viel zu lang gelebt!' (1)

dabei war der beginn der 2-taegigen raftingtour der 'rivertrails ltd.' am seti river noch so gemuetlich. in fast stehendem gewaesser probten wir anfangs kurz die wichtigsten kommandos des fuehrers. 'paddle forward' und wenn es stromschnellen noetig machen auch mal 'faster and harder'. das wichtigste in meinen augen war aber 'hold', was einen sofortigen griff an die sicherheitsleine bedeutet.

die ersten paar hundert meter waren richtig aufregend. nicht weil das wasser besonders schnell oder hoch gewesen ist. sondern einfach deswegen, weil alles neu und ungewohnt war. das enge life-jacket, das mir den atem nahm. der gurt des sturzhelmes an meinem hals. die seitlich sitzposition ganz vorne im boot. bei einer biegung wurde das wasser ploetzlich um einiges bewegter. ich vernehme das erste 'paddle forward please' von unserem guide. kralle mein ruder noch fester, als ich es vor lauter aufregung ohnehin schon tue, und pfluege mit kraeftigen bewegungen das wasser. die stromschnelle ist da. 'stop', hoere ich von hinten. auch ohne vernommenen 'hold'-kommando halte ich mich an der leine fest. das wasser spritzt und das boot schaukelt. huuiiihh! das macht ja richtig spass. dann eine weitere biegung. ein anderer fluss wird sichtbar, der von der rechten seiten in unseren muendet. oder besser gesagt: 'unser' kleines gewaesser, vergleichsweise ein rinnsal, ergiesst sich in einen tobenden, sauschnellen, doppelt so breiten strom. den seti river! das raften hatte noch nicht einmal richtig begonnen.

normalerweise wird diese raftingtour fuer familien mit kindern oder fuer 'gemuetliche' leute angeboten, die mehr die landschaft geniessen wollen, als im boot nass zu werden. doch waehrend monsun und schneeschmelze aendert sich die lage. die fluesse fuehren dann bis zu 10 mal mehr wasser als in der niedrigwasserperiode. schwierige gewaesser muessen gesperrt werden, und leichte werden zu anspruchsvollen. von den vielen, vielen rafting-strecken in nepal sind anfang juli nur 2 geoeffnet. der trisuli und der seti. wir entschieden uns fuer den schwierigeren seti river, weil dieser besonders am zweiten tag ueber einige herausfordernde stromschnellen verfuegen soll. 'a bit more fun', kommentierte der typ von der rafting-agency in pokhara diesen abschnitt der tour. dass in dieser jahreszeit auch am seti vorsicht geboten scheint, merkte ich an der wahl der besatzung. da 2 touristen am vortag die teilnahme absagen mussten, waren wir nicht - wie zu erwarten - zu dritt oder zu viert, sondern zu sechst im boot. 1 guide, 2 assistenten, 1 koch und 2 blutige anfaenger ohne plan.

als wir uns dann tatsaechlich am eigentlichen raftingfluss befanden, war schon um einiges mehr zu tun. bei wilden stromschnellen raste unser boot in ein wellental. manchmal krachten wir gegen die gischt. bine und ich wurden von oben bis unten nass. knapp vor dem camp, und damit vor dem ende des ersten tages, der einzige echte 'rapid' - stromschnelle. 'paddle faster', schreit unser fuehrer ob der lauten, tosenden gischt. in beeindruckendem tempo rasten wir von einem strudel in den naechsten. von einer welle in die andere. wahnsinn. das war rafting!

'er war ein tiefseetaucher und er glaubte nicht an gefahr,
am liebsten war er dort, wo's am gefährlichsten war,
einmal im roten meer, wo es von haien nur wimmelt,
da hat für ihn ganz leis die letzte stunde gebimmelt.
auf der suche nach antiken sachen
geriet er einem hai in den rachen,
und tief im haifischmagen hört er eine stimme sagen:
da sagt wer:
jedermann, deine tage sind gezählt,
jedermann, du hast viel zu lang gelebt!' (1)

doch nun, nach getanem morgendlichen 'geschaeft', stehe ich in der daemmerung am reissenden fluss und kriege es mit der angst zu tun. um in einigen stunden dem sicheren tod entgegenzutreten, zahlte ich vorher sogar noch 40 dollar an meine vollstrecker 'rivertrails ltd.'. und weil risikosportart, zahlt die krankenversicherung auch im falle meines ablebens wahrscheinlich keinen cent. was fuer eine ungerechtigkeit. 'hoffentlich schmeissts mich beim raften nicht aus dem boot', habe ich gutgelaunt am vorabend der abfahrt in einigen grusszeilen an bines eltern gescherzt. sollten das meine letzten lebenszeichen gewesen sein?

die crew selbst scheint an diesem morgen zwischen den gefuehlstadien 'bedenklich' und 'sorglos' hin und her zu schwanken. schon gestern warnten sie uns vor den heute zu erwartenden rapids. der erhoehte wasserstand hat die situation sichtlich verschaerft. 'high water', 'big, big holes' und 'today very dangerous' teilen sie uns mit. und der guide persoenlich meint 'our boat will go downside'. zeigt mit dem rechten arm hinter die flussbiegung und deutet mit der linken, ausgestreckten handflaeche eine 180 grad drehung an. zuerst ist der handruecken sichtbar und dann - schwupps - die innenseite. 'dont panic' hat er mir am vortag als wichtigen tip beim ueber-bord-gehen mitgegeben. ok, das wars. schoene welt ade.

fluesse werden in einem weltweit gueltigen standard in 6 klassen eingeteilt. wobei klasse 1 ein mehr oder weniger ruhiger strom, und klasse 6 fast unfahrbar und lebensgefaehrlich bedeutet. ab level 4 sollte man koerperlich fit sein, keine angst vor wasser haben und bereits erfahrung gesammelt haben. level 5 ist fuer erfahrene, verwegene rafter und profis.

'today level 4 plus', meint der junge, heitere assistent und klopft mir troestend auf die schulter. ich beobachte nocheinmal die gewaltigen kraefte des angeschwollenen gebirgsflusses. nach dem sicheren ueberschlag des bootes, wie soll ich jemals das ufer erreichen? bevor ich nicht - bereits kilometerweit abgetrieben - in einen sog in die tiefe gezogen werde oder auf einen felsen aufschlage. einmal in den fluten gelandet, bin ich ein winzig-kleiner spielball der laune der natur. ein leichtgewicht, weggespuelt wie ein herbstblatt in einem kleinen baechlein. auch andere reiseradler waren raften. vom internet kenne ich einige berichte darueber. aufgeschlagene knie, andere blutende wunden, kilometerweit abgetrieben...all das war dabei.

das boot wird zum wasser gebracht. die wasserdichten packsaecke - gefuellt mit zelten, proviant, ausruestung etc. - werden in der mitte des bootes festgezurrt. mehrmals ueber den 4 zusaetzlichen luftkammern festgebunden. mir scheint, als ob heute alles gewissenhafter von statten geht als gestern.

'wird schon gutgehen. andere haben das auch ueberlebt', versuche ich bine, aber ehrlichgesagt noch mehr mich selber, zu beruhigen. 'uli, du musst wissen, ich liebe dich', scherzt bine mit galgenhumor als wir aufs boot steigen. diesmal nicht ganz vorne, sonder in der mitte. warum das?

vom ufer weg muessen wir hart rudern, um moeglichst weit ins kurveninnere zu gelangen. das tiefe loch, das uns wohl 'downside' gehen laesst, ist von weitem schon auf der aussenseite der biegung zu sehen. ein gewaltige, weissgeschaeumte gischt rund 200 meter vor uns. das ziel ist, in diesen gewaltigen strudel so wenig wie moeglich hineingezogen zu werden. 'one, two, one, two', bruellt der fuehrer. 'faster, faster!'. ich hau mit meinem ruder voll ins wasser rein. atme kraeftig durch den mund. die biegung ist erreicht. 'one, two'. mit aller kraft wuehle ich den seti. das boot bewegt sich unweigerlich auf die gischt zu. alle 6 insassen rudern was das zeug haelt. 'the hole', schreit ein assisten. ein riesiges, schaeumendes wellental vor uns. wie nichts werden wir hineingezogen. das boot kippt. steht auf der laengsseite 90 grad senkrecht. ich schaue direkt auf bines kopf hinunter. alles andere von ihr ist nicht mehr sichtbar. der guide und ein assistent werden aus dem boot geschleudert. alles vergeht wie in zeitlupe. wir scheinen einige sekunden senkrecht zu stehen. 'dont panic' geht mir durch den kopf. aber wir kippen nicht weiter. sondern fallen wieder auf die unterseite des bootes zurueck. und bine sitzt weiterhin gegenueber. 'super dass du dich so gut angehalten hast', schreie ich vor freude und erleichterung. 2 kuebel, 1 ruder und die 2 crewmitglieder werden zurueck ins boot geholt. dann wird gejohlt, geschrien. alle 6 ruder uebereinandergekreuzt. 'one, two, three...YEEEAAAAHHHH!!!'. 'rapid level 4 plus' ohne 'flip over' ueberstanden!

der heitere assistent vor mir hat sich die schulter verletzt. ich blute am linken daumen. sonst ist nicht viel passiert. was fuer ein kick. super! und haette es mich aus dem boot geschmissen, waere ich wohl ebenso leicht zurueck ins boot wie die beiden tatsaechlich ueber-bord-gegangenen. denke ich mir. bine ist auch ganz begeistert.

aber der abschnitt ist tatsaechlich ueberall um einiges wilder als am vortag. 'first left, then right and then left again', beschreibt der guide den kurs fuer die naechste schluesselstelle, die aus mehreren schweren stromschnellen besteht. 'maybe we flip over', versucht er uns wieder auf das schlimmste vorzubereiten. wieder rudern wir alle wie verrueckt. wild wird das schlauchboot hin und her geschleudert. wellen klatschen auf uns. ich rudere. und bei tiefen wellentaelern halt ich mich fest. 'faster, faster'. ist mir doch egal. hier gehts um mein leben! nach dem ersten ueberstandenen rapid wirds immer kritischer. die gischt wird gewaltiger und gewaltiger. immer mehr riesige felsen im wasser werden sichtbar. das boot kippt bedrohlich nach links. bei gewaltigen stoessen und brechern fuellt sich das rafting-boot bis oben hin mit milchigem gletscherwasser. aber es kippt wieder nicht. wir rattern ueber felsen hindrueber. ich bekomme einen schmerzhaften schlag gegen den knochel. dann ists vorbei. unglaublich!

doch diesmal wars zu viel. zu direkt sah und spuerte ich die gefahr - herausragende und verdeckte felsen in tosender flut. einmal im wasser gelandet, ist es schicksal, was mit mir geschieht. ob ich irgendwo aufschlage, mir offene wunden, ein gebrochenes bein zuziehe. oder einfach ertrinke. kein mensch kann in der gewalt des wassers irgendwas anrichten. ein spiel mit der gesundheit und leben.

'da glaubte einer, dass er wirklich todsicher klettert,
doch hat er sich beim letzten sturz im seil verheddert.
man muss schon sagen, dass er wirklich unglücklich hing,
weil eine schlinge seil um seinen hals herumging.
da hört er plötzlich glocken läuten
und fragt sich noch, was kann das bedeuten,
als ihm die sinne schwinden, hört er engelschöre singen:
jedermann, deine tage sind gezählt,
jedermann, du hast viel zu lang gelebt!' (1)

nach 10 minuten, tatsaechlich aber nach ueber einer stunde, ist es vorbei. das ziel erreicht. erleichtert verlasse ich mit blutendem finger und angeschwollenem fuss das boot. karusell- und hochschaubahnfahren habe ich nie gemocht. und mich verflucht, wenn ich mich zu so einer hoellenfahrt ueberreden habe lassen. das anspruchsvolle rafting reiht sich in diese kategorie ein. bin ich ein tatenloses, handlungsunfaehiges opfer ohne eigener eingriffsmoeglichkeit, dann krieg ich es mit unwohlsein oder sogar mit angst zu tun. interessanterweise ist die diesbezuegliche lage bei bine gerade umgekehrt. sie liebt die geraetschaften eines wuerstelpraters (fuer unsere leser aus sued-deutschland: dult). und die soeben beendete rafting-tour wuerde sie am liebsten gleich wiederholen. beim wandern in den bergen oder beim bergab-radeln zeigt sie sich hingegen aengstlich. taetigkeiten, die ich sehr gerne tue.

rafting ab 'level 4 plus' ist wohl das richtige fuer bine. aber nicht fuer mich.

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(1) ringsgwandl, 'jedermann', aus dem album 'das letzte'

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