Ecuador 2 - Das Südliche Hochland
Puerto Inca - Parque Nacional Las Cajas - Cuenca - Loja - Vilcabamba - Zumba - La Balsa (Grenze Peru)
6976 km, San Ignacio
Bine und ich stehen nun vor einer gigantischen Premiere: mehr als 4.000 Höhenmeter "in einem Stück" hinaufradeln! Die Strasse E582 schraubt sich von Puerto Inca, wo wir gerade sind, auf nur knappen 100 Kilometern von praktisch Null Meter hinauf auf 4.122 Höhenmeter. Das ist durchaus respekteinflössend. Aber wir rechnen für die insgesamt 135 Kilometer bis Cuenca realistischerweise 4 Tage, so um die 1.500 Meter wollen wir pro Tag bewältigen. Das nimmt den Druck, und teilt die Strecke in bewältigbare, tägliche Abschnitte.
Von 0 auf 4.100 Meter Seehöhe
Tag 1 beginnt mit bedecktem Himmel. Doch der ist für uns nicht allzu lange sichtbar. Praktisch den ganzen Tag radeln wir hinauf in dichtestem Nebel. Wir schalten unsere Fahrradbeleuchtungen ein. So sehen wir wirklich gar nichts ausser die nächsten 20 Meter der Leitplanke. Der Nebel ist so dicht, dass alles mit Millionen Wassertropfen bedeckt ist. So steigen wir hinauf, 100 Höhenmeter für 100 Höhenmeter. Immer wieder eine Pause, eine Kekspause, Mittagspause, eine Pause, eine Kekspause und so weiter. Als Bine schon sehr fertig ist, suchen wir einen Kampierplatz. Knapp neben der Strasse, aber trotzdem im Nebel und in der Nacht nicht gut einzusehen, finden wir einen für uns akzeptablen. Der Höhenmeter zeigt exakt 1.500 Meter an. Wir sind im Plan!
Am nächsten Morgen ist der Nebel weg, und der Himmel strahlt blau und wolkenlos. Eine tolle Bergwelt tut sich hinter uns auf. Und vor uns das Tiefland, das weit unten von einer weissen, dichten Wolkenschicht begraben liegt. Was für ein toller Anblick. Und was für eine grossartige Entschädigung fürs gestrige Raufradeln durchs weisse Nichts.
Bei vorerst bestem sonnigen Wetter radeln wir wieder in unserem Rhythmus hinauf. Die Kilometer sind irrelavant, einzig die bewältigten Höhenmesser zählen. Und nach 500 Höhenmetern machen wir unsere erste Kekspause. Nach 1000 Höhenmetern Mittagspause. Die Landschaft ist toll, und nun können wir - ob der klaren Sicht - auch alles bewundern. Am Nachmittag zieht es allerdings wieder zu. Und plötzlich finden wir uns im dichtesten Nebel und Regen wieder. Und - die Strasse geht bergab! Wir können nicht erkennen wohin und für wie lange - denn die Sicht ist auf knappe 10 Meter beschränkt. Es geht schliesslich einige Kilometer und insgesamt 400 Höhenmeter hinunter. Das passt uns natürlich überhaupt nicht,
Auch der darauffolgende Tag beginnt wieder toll, mit Sonne und dementsprechenden Aussichten talauf und talab. Wegen der gestrigen Abfahrt sind wir nun nicht auf der geplanten Höhe von 3.000 Metern, sondern 500 Meter darunter. Gut, dass wir gleich mit 4 Tagen gerechnet haben, so haben wir nun unsere Reserve ausgeschöpft. Das Tropische haben wir natürlich schon lange hinter uns gelassen. Neben Wald- und Weidegebieten geht´s nun langsam Richtung kargere Berglandschaft. Auch heute zieht wieder Nebel auf. Aber auf über 3.000 Meter Seehöhe sind wir bald über der Nebelgrenze hinweg. Und tatsächlich - der Nebel wird nicht dichter, sondern ganz im Gegenteil, er löst sich auf. Nun haben wir eine tolle Kulisse vor uns. Bergwände mit steinigem Fels, davor Hochlandwiesen und Nadelbäume. Gebirgsbäche und kleine Wasserfälle. Traumhaft.
Wir passieren den Eingang des Nationalparks Las Cajas und wollen möglichst bald einen Kampierplatz finden. Doch Weidezäune machen uns das Leben schwer. Schliesslich finden wir aber einen traumhaften Platz. Zugegebenermassen umständlich zu erreichen - wir müssen das Rad abpacken und die ganze Ausrüstung über Felsen und Buschwerk hieven. Aber die Arbeit zahlt sich aus. Wir haben zum Abendessen und Frühstück ein tolles Panorama vor uns. Und sind weit genug von der Strasse weg. So einen Platz zu haben ist wirklich ein Privileg.
Der nächste Tag ist, so wie wir es innig gehofft haben, wolkenlos. Wir geniessen den letzten Aufstieg von 3.700 Meter auf über 4.100 Meter. Tolle Berglandschaft, Seen und Almen. Und dann sind wir endlich oben auf "Tres Cruces", dem höchsten Punkt der Strasse. Wir geniessen es sehr und sind stolz auf unsere Leistung. Auf der anderen Seite des Passes gibt es zahlreiche Seen und eine ebenso atemberaubende Kulisse. Wir begegnen einigen modernen Bussen mit Touristen aus Deutschland und der Schweiz, die heute - von Cuenca kommend - noch weiter nach Guayaquil fahren. Um am nächsten Tag auf die Galapagos Inseln zu fliegen. Ihre Reise-Lichtgeschwindigkeit versus unserem Dahinkriechen mit dem Fahrrad!
Cuenca
Dann kommt die verdiente und wunderschöne Abfahrt hinunter nach Cuenca auf 2.500 Höhenmeter. Weiter unten schaut das Tal aus wie in Österreich. Zahlreiche teure Restaurantes reihen sich entlang der Strasse. Auch wir wollen gerne zur Feier unserer erfolgreichen Cajas-Überquerung Forelle essen, aber erst in Sayausi finden wir etwas billiges. Es schmeckt uns sehr gut!.
In Cuenca einquartiert, erfahren wir per Email, dass Bines Eltern - Alfred und Brigitte - auf ihrer Route nach Cuenca (über El Triunfo und Zhud) teilweise mit anderen Verkehrsmitteln unterwegs waren. Und daher bereits hier in der Stadt verweilen. Was für eine Überraschung. So treffen wir uns am nächsten Tag und berichten gegenseitig von unseren Erlebnissen seit dem tränenreichen Abschied vor 5 Tagen.
Cuenca ist eine sehr schöne, nette und gemütliche Stadt. Ausserdem findet gerade ein Südamerika-Kunstfestival - das "Festival de Artesanías de América" - statt. Natürlich schauen wir uns das an. Und sind ganz begeistert von der Schönheit und Vielfalt der Handwerkskunst von Südamerika.
Nun verabschieden wir uns von Brigitte und Alfred wohl für etwas längere Zeit. Die beiden fahren mit dem Bus nach Loja. Wir befahren die gleiche Strecke mit dem Rad. Gleich am ersten Tag geht es Bine nicht gut, sie fühlt sich schwach und nicht gesund. So kampieren wir schon nach 40 Kilometern gut geschützt neben der Strasse. Und bleiben dort auch den nächsten Tag, damit Bine wieder zu Kräften kommen kann.
4.000 Höhenmeter nach Loja
Dann geht´s weiter. Die Landschaft ist wirklich sehr schön und interessant. Und relativ einsam. Irgenwie habe ich das südliche Ecuador ärmlich, landwirtschaftlich geprägt und verbaut erwartet. Aber so bin ich richtig begeistert. Klar ist aber, dass es ein ewiges Auf und Ab ist. Bis Loja werden es über 4.000 Höhenmeter werden. Das ist einfach normal hier in den Anden. Aufgrund der netten Einsamkeit kampieren wir auch in der 2. Nacht, nach La Paz, wild. Ein toller Sonnenuntergang beschert uns eine Naturkulisse wie im Kino!
Vor Ona bricht die Strasse am nächsten Tag brutal 1.100 Meter hinunter zum Rio Léon, um danach wieder alles hinauf zu führen. In Ona nehmen wir ein modernes, relativ teures aber sehr nettes Hotel (www.hotelquintagalindo.com). Dann geht's bei bestem Wetter weiter hinauf in die Anden. Seit Ewigkeiten treffen wir wieder mal auf andere Radler. Es sind die beiden netten Roger&Julia aus der Schweiz, die gerade von Ushuaia kommend rauf nach Bogota radeln, um dann nach Asien überzusetzen.
Schliesslich erreichen wir Saraguro. Ein toller Ort mit lebender Indianerkultur und nettem Ortsleben. Charakteristisch für mich ist die Kleidung der Männer - mit knielangen, schwarzen Hosen, schwarzen Socken und schwarzen Schuhen. Viele haben ihre tiefschwarzen, dichten Haare zu einem oder sogar zwei Zöpfen gebunden.
Wir erfahren, dass von San Lucas aus die alte Panamericana abzweigt, die angeblich flacher und kürzer sein soll. Die nehmen wir natürlich! Und werden mit bestem Radeln durch ein schmales Tal, mit einem Bach in der Mitte, einer schmalen, einfachen Staubpiste daneben und steilen, grünen Hängen auf beiden Seiten belohnt. Hier benutzen die Bauern noch viel mehr Pferde und Esel als Arbeitstiere. Es ist eine andere Welt hier. Und wir sind froh, einmal weg von der breiten, modernen Panamericana zu sein.
Es geht natürlich auch hier nicht immer nur im Tal entlang, und so kommen auch am letzten Tag noch einmal knapp 1.000 Höhenmeter zusammen. Aber die Strecke von Cuenca nach Loja war traumhaft und sehr empfehlenswert. Loja selbst ist eigentlich sehr gross, ich bin überrascht. Aber sie hat für uns nicht wirklich was zu bieten. Einen Ruhetag gönnen wir uns trotzdem.
Auf abgelegener Route nach Peru
Dann geht´s weiter Richtung Peru. Allerdings nicht auf der Panamericana, sondern auf einer sehr kleinen Schotterpiste hinunter nach Zumba. Aber zuerst geht`s noch auf bestem Asfalt nach Vilcabamba. Ein berühmter Gringo-Touristenort in einer traumhaften Bergwelt gelegen. 1.500 Meter Seehöhe, angenehmes Klima, tolle Landschaft. Klar, dass sich hier auch westliche Globetrotter niederlassen. Aber der Ort ist wirklich nett, hat einmal etwas mehr zu bieten als Hühnchen mit Reis. Ist aber trotzdem authentisch und ein richtiger ecuadorianischer Ort.
Bine entschliesst sich, für die kommende Strecke bis Zumba einen Bus zu nehmen. Ich radle also allein aus Vilcabamba raus, und bezwinge die erste Anhöhe bei bestem Wetter. Aber beim Runterrollen gibt die Hinterradnabe grässliche Geräusche von sich. Ich kann nicht zurücktreten. Es legt sich zwar nach einigen hundert Metern. Aber beim nächsten Anstieg ist es dann aus. Die Nabe kracht, ich kann weder nach vorne noch zurück treten. An einem schattigen Platz packe ich das Rad ab, löse das Ritzelpaket und untersuche das Hinterrad. Mein Verdacht ist schnell bestätigt: der Freilauf ist gebrochen. Weiterradeln unmöglich. So warte ich fast eine Stunde auf das erste Auto, das zurück Richtung Vilcabamba fährt. Zum Glück nimmt mich der Pickup mitsamt Rad und Ausrüstung mit. 20 Minuten später bin ich wieder bei Bine in Vilcabamba. So unvorsehbar ist das Reisen!
Da Sonntag ist, rechne nicht mit einer schnellen Lösung des Problems. Ich denke, dass ich am nächsten Tag wohl nach Loja mit dem Bus fahren muss. Doch nachmittags sperrt der einzige Fahrradmechaniker des Ortes auf. Und tatsächlich - er kann helfen. Er hat eine gute 36-Speichen, 8-fach Shimano-Nabe lagernd. Die Kosten für das komplette Ausspeichen und dann wieder Einspeichen des Hinterrades betragen nur 7.5 Euro! In Europa wären es wohl so um die 100 Euro. Erleichtert und zufrieden lasse ich das Rad dort, denn gearbeitet wird erst morgen. Das bedeutet also 2 Tage Zeitverzögerung. Aber was soll`s. Tags darauf hole ich das Fahrrad mit neuer Hinterradnabe ab. Der 2. Versuch kann starten.
Nach 13 km beziehungsweise 500 Höhenmetern erreiche ich meinen vorgestrigen point-of-return. Doch diesmal gibt`s kein Halten. Das Rad hält. Leider ist das Wetter um einiges schlechter, schon ab der Früh habe ich teilweise mit heftigem Gegenwind zu kämpfen. Und in den Bergen, die ich erklimmen will, hängen dunkle Regenwolken. Trotzdem mache ich gute Fortschritte. Die Strasse ist schon viel weiter asfaltiert als angenommen. Momentan sind es 55 Kilometer Asfalt ab Vilcabamba (mit einigen unerklärbaren Schotterabschnitten dazwischen...). Die Landschaft ist wunderschön. Es fängt hin und wieder leicht zu regnen an. Auf knappen 2.700 Höhenmeter erreiche ich den Pass. Nebel zieht auf. Die Vegetation zeugt davon, dass es hier grundsätzlich feuchter ist als in der Region vor der Wetterscheide. Weiter unten finde ich mich bald in einer tropisch-feuchten Landschaft wieder. Was für ein Unterschied.
Die LKWs fahren permanent die neue Strasse hinauf und hinunter. Mit Hochdruck wird an der Fertigstellung der Asfaltdecke bis Valladolid und Palanda gearbeitet. 10 Kilometer vor Valladolid - ich habe bereites 2.000 Höhenmeter in den Beinen - endet schliesslich die befestigte Strasse endgültig. Die Baustelle ist natürlich schlecht zu radeln - Matsch, grobe Steine, Baufahrzeuge, Dreck. Müde erreiche ich Valladolid, und bin froh, ein Hostal vorzufinden. Duschen, Wasser kaufen, Nudeln kochen, essen, Toilette. Und schlafen.
Der nächste Tag verläuft ausschliesslich über Schotterpiste bis nach Zumba, der letzten, grösseren Ansiedlung vor der peruanischen Grenze. Anfangs ist überall noch Baustelle, und dementsprechend schleppend komme ich voran. Als ich die "under construction" Abschnitte hinter mir lasse und auf der alten, original Piste radle, geht es besser. Allerdings gibt es ein paar richtig steile Anstiege. Teilweise muss ich schieben. Die Strasse mutiert an vielen Stellen zu einer schmalen, einspurigen Piste durch tropisches Grün. Nach den Kilometerangaben auf den Schildern und unserer Landkarte sollte ich bald Zumba erreichen. Doch auf einem kleinen Ort hoch oben in den Bergen erfahre ich, dass es nochmals tief hinunter und dann wieder hoch hinauf nach Zumba geht. 20 Kilometer länger als angegeben!
So esse ich noch ein Almuerzo. Dann geht`s steil hinunter ins Tal. Bergauf sind wieder ein paar steile Säue dabei, die ich - schon gezeichnet vom langen und harten Tag - schieben muss. Die Schwüle lässt mich Unmengen an Schweiss loswerden. Nach 1.500 Höhenmetern und 70 Kilomtern radeln auf Schotterpiste erreiche ich Zumba. Und treffe schnell Bine, die gerade mit dem Bus aus Vilcabamba angekommen ist.
Der nächste Tag ist ein Ruhetag. Es ist komplett verhangen, und es regnet fast unaufhörlich. Wir machen uns Sorgen um den letzten Abschnitt zur Grenze. Eine kleine Lehmpiste führt dorthin, und wir fürchten eine Schlammschlacht am nächsten Tag. Spätnachmittags klart es dann auf. Wir hoffen morgen auf eine gute Piste.
Und tatsächlich. Die Strasse ist in einem guten Zustand, nur manche Abschnitte sind etwas "feucht". Laut Karte verläuft die Strasse in einer "Höhenstufe" für 15 Kilometer bis zur Grenze. Diesmal wissen wir aber schon vorher, dass es 30 km sein werden. Und 700 Höhenmeter, mit teilweise kräftigen Anstiegen. So quälen wir uns bis zum frühen Nachmittag über Berg und Tal. Die Lanschaft und auch die kleine Strasse sind toll und abenteuerlich. Es ist schwül, und Bine muss die steilen Anstiege schieben. Zum Schluss bricht die Strasse steil ab zum Grenzfluss zwischen Ecuador und Peru. Da schieben wir beide, um Bremsen und Felgen zu schonen.
La Balsa ist der "Grenzort". Ein paar Holzhäuser. Total verschlafen. Den Polizisten der ecuadorianischen Migracion "stören" wir beim Volleyballspielen. Freundlich und zügig erhalten wir den Ausreisestempel. Nach über 2 Monaten geht`s nun in ein neues Land. Nach Peru. Juhu!