Kolumbien
Buenaventura - Ipiales
5001 km, Ipiales
Bine und ich sind heilfroh, dass wir das schwankende Schiff von Bahia Solano in Buenaventura endlich verlassen dürfen. Wir radeln geschwind in die Stadt hinein. Eine Stadt, die in unserem Reiseführer nicht einmal erwähnt ist, und vor der sonst von allen Seiten gewarnt wird. Wie ungerecht.
Vom ersten Meter an sind wir begeistert von den offenen, hilfsbereiten und sehr freundlichen Einheimischen. Wir werden einfach angesprochen, ob uns geholfen werden kann. Die Leute interessieren sich für unsere Räder, und unsere Route, die wir genommen haben. Nachdem wir alles in einem günstigen und sehr guten Hotel verstaut haben, gehen wir gleich zum Meer. Es ist Sonntagabend, und 1000nde Menschen tummeln sich hier. Trinken Bier, essen, amüsieren sich. Ein toller Einstand für uns. Ich fühle mich gleich sehr wohl .
Drei Tage bleiben wir in Buenaventura. Vor allem um uns psychisch von der Überfahrt zu erholen und uns geistig nun endgültig auf Südamerika vorzubereiten. Das Land scheint um einiges günstiger zu sein als die meisten zentralamerikanischen. Köstliche Almuerzos (Tagesmenüs) für 2 Euro. Zahlreiche Panaderias (Bäckereien) verkaufen allerlei Leckeres. Die Strassen und Häuser sind etwas heruntergekommen. Das alles ist neu für uns, unterscheidet es sich hier doch deutlich von unseren Erlebnissen der letzten Monate in Zentralamerika. Wir geniessen es auf jeden Fall in vollen Zügen.
Willkommen in Südamerika
Beim Rausradeln aus der doch beachtlich grossen Hafenstadt Buenaventura sehen wir am Siedlungsrand grosse Slumgebiete. Holzhäuser auf Stelzen im Gezeitensumpf. Wackelige Holzstege verbinden die Baracken. Kein Strom, kein fliessendes Wasser, keine sanitären Leitungen. Die Hitze, den Gestank des Sumpfes und der Exkremente kann ich mir nicht einmal vorstellen. Abgesehen von den hygienischen Zuständen, die hier herrschen müssen. Extrem deprimierend.
Unsere erste Etappe führt uns gleich in die Berge, die wir in Kolumbien auch nicht mehr verlassen werden. Ganz leicht ansteigend gehts immer bergauf. Das Tal ist schmal, unten verläuft eine stillgelegte Bahnlinie. Die Strasse führt durch zahlreiche Tunnels, die für uns teilweise ob der Länge und Dunkelheit stressig sind. Anfangs sind noch sehr viele LKWs auf der engen Strasse unterwegs. Ich denke mir, wann wir endlich einmal in ruhigeren Gefilden unterwegs sein werden. Aber als wir bei Lobo Guerrero Richtung Cali abbiegen, wird es mit einem Schlag ruhig. Und das wird sich auch für unsere ganze Zeit in Kolumbien nicht mehr ändern.
Militär und Polizei, allesamt schwer bewaffnet und geschützt, sind omnipräsent. Das beruhigt nicht unbedingt. Es gilt die Guerillakämpfer der FARC in Schach zu halten. Motorräder der Polizei rasen vorbei, am Rücken des Fahrers hängt eine Maschinenpistole. Die Brücken sind mit grossen Sandsäcken gesäumt und von jungen Soldaten bewacht. Diese machen aber einen lockeren Eindruck und grüssen sehr freundlich. Die Lage sieht entspannt und nach "Dienst nach Vorschrift" aus. Aber sicher sind wir uns nicht.
Die ruhige Strasse und die immer höher werdende Berglandschaft machen allerdings Spass. Das Wetter ist sonnig, und nach insgesamt 110 Kilometer nur bergauf erreichen wir den höchsten Punkt vor der nächsten grossen Stadt: Cali. Wir gleiten hinunter durch schöne Landschaft. Allerdings teilen wir uns die schmale Strasse mit hunderten von Autofahrern, die am Wochenende die Kühle der Berge zu schätzen scheinen. Cali ist riesengross, modern und steril. Es gibt keine leistbaren Quartiere, und nach stundenlangen Suchen nehmen wir ein Zimmer um 22 Euro.
Am Wochenende scheint die Stadt wie ausgestorben. Keine Leute auf der Strasse. Alle Geschäfte geschlossen. Leere, moderne 4-spurigen Strassen. Keine Ahnung warum wir hier unser Budget überstrapazieren. Für wahrlich sehr wenig. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Denn der darauffolgende Montag ist ebenfalls ein Feiertag...
Beim Rausfahren hören wir erstmals von Streiks und Strassenblockaden. Angeblich auch auf unserer bevorstehenden Route nach Popayan. Wir sind verunsichert und fragen nach. Ist es gefährlich? Können wir als Radler trotzdem vorbei? Wir bekommen nicht wirklich eine Antwort darauf.
Die Fahrt nach Popayan über Santander und Tunia verläuft mehr oder weniger ereignislos. Es gibt keine Strassenblockade. Allerdings sehen wir Spuren davon. Verbrannte Autoreifen. Steinsbrocken am Strassenrand. Sogar einen total ausgebrannten Autobus. Friedlich schaut anders aus.
Popayan ist eine sehr schöne Kolonialstadt mit fast auschliesslich weiss bemalten einstöckigen Häusern. Der Parque Central ist riesig und voller Menschen. Schön. Grosse Städte in Kolumbien sind leider teuer. So essen wir im Park selbstgemachte Brote.
Bergüberquerung die Erste
Bine und ich verlassen nun die Haupstrasse. Wir wollen nach Osten über die Berge nach Pitalito um dann weiter südlich über eben diese Berge wieder zurück zur Haupstrasse bei Pasto zu gelangen. Berge machen mehr Spass, die Landschaft ist viel interessanter. Und auch die Menschen sind anders in ruhigen Gebieten.
Knappe 2000 Höhenmeter geht´s hinauf in den Parque Nacional Purace inklusive dem gleichnamigen Vulkan. Beim Losradeln sehen wir diesen in voller Pracht. Da wieder Mal Wochenende ist, grüssen wir zahlreiche Rennradler und Mountainbikefahrer, die ebenfalls unterwegs hinauf in die Berge sind. Sie sind alle ob des guten Wetters sehr gut gelaunt und wir wechseln andauernd ein paar Worte mit den netten Radlern. In Coconuco nehmen wir noch ein lecker Almuerzo ein, ehe es weiter hinauf geht. Der Asfalt endet bald, und die Landschaft wird immer interessanter. Ein Wasserfall, daneben almenartige Wiesen und Berge im Hintergrund. Später erreichen wir eine Art Hochebene. Da es schon spät ist, fragen wir bei einem Bauern, ob wir bei ihm unser Zelt aufstellen können. Ohne Zögern lädt er uns dazu ein. Die zahlreichen Hunde auf dem Grundstück sind ebenfalls bald beruhigt.
Am nächsten Tag in der Früh erreichen wir Paletará, dem letzten Ort vor dem Nationalpark. Danach wird`s sehr einsam. Auf 50 Kilometer Schotterpiste sehen wir keinen einzigen Menschen, kein Haus. Und nur 2 Busse und ein paar Motorradfahrer begegnen uns auf der Strasse. Anfangs sehen wir tolle Hochlandvegetation, danach Nadelbäume in ungewohnter Einsamkeit. Allerdings ist das Wetter katastrophal. Es beginnt immer mehr zu regnen. Der Temperaturmesser zeigt nur mehr 7 Grad an. Wir sind durchnässt. Dichter Nebel. Sichtweite unter 20 Meter. Keine Spur mehr von Bergen, geschweige denn von dem Vulkan Puracé.
Wir könnten zwar wildkampieren, aber wir sind uns wegen eventuellen Guerillatätigkeiten hier nicht sicher. So fragen wir, als die Zivilisation wieder langsam in Form von einzelnen Häusern auftaucht, bei einem Bauern. Auch diese laden uns sofort ein bei ihnen zu übernachten. Wir stellen das Zelt sogar in einem Holzhaus auf, das gerader gebaut wird. So stört uns auch der nächtliche Regen nicht weiter. Davor servieren sie uns sogar Tee und Kekse. Die Gastfreundschaft der Menschen hier ist wirklich beeindruckend.
Am nächsten Tag fängt irgendwann beim Runterradeln der Asfalt wieder an. Eine topmoderne Strasse ohne Verkehr. Dichter Nebel und Regen. Sichtweite unter 10 Meter. Dann mutiert die Strasse wieder zur Schotterpiste. Es geht ganz schön viel runter. Da unsere Bremsen eigentlich schon lange "überfällig" sind, wechseln wir alle 4 Bremsbelag-Sätze neben der Strasse, da wir schon Schwierigkeiten haben, unsere Räder überhaupt zu stoppen...
Das berühmte San Agustin inklusive Umgebung lassen wir aus und radeln direkt zur Haupstrasse nach Pitalito. Eine sehr nette, belebte kolumbianische Stadt, in der wir uns einen Tag erholen. Die Hauptstrasse nach Süden - nach Mocoa - ist sehr ruhig. Wie eigentlich fast überall in Kolumbien. Ob das mit den Streiks und den Blockaden zu tun hat, oder ob das hier in Kolumbien einfach so ist, finden wir ebenfalls nicht wirklich raus. Für uns ist das Radeln dadurch natürlich sehr angenehm. Allerdings hätten wir in den Orten und Städten einfach gerne "mehr Leben". Die Orte wirken sehr verschlafen, viele Geschäfte sind geschlossen, die Strassen und Plätze halbleer.
Die Menschen in Kolumbien sind wirklich etwas besonderes. Wir bekommen andauernd den Daumen-nach-oben gezeigt. Von Bauarbeitern, Auto- und Motorradfahrern. Die Grüsse zeugen von Lebensfreude und Respekt. Die Hilfsbereitschaft ist enorm. Es ist für uns ein Privileg, in so einem Land mit dem Fahrrad unterwegs zu sein und so behandelt zu werden. Das macht wirklich Freude. Um so trauriger, dass Kolumbien weltweit nur mit Drogenkrieg in Verbindung gebracht wird. Kolumbien gilt als kriminell und gefährlich . "That`s not true", sagt uns ein netter Kolumbianer, der sein Englisch bei uns ausprobieren will. Ich kann seine Unzufriedenheit verstehen.
Bine wird sogar ob ihrer Leistung mit dem Fahrrad applaudiert. "Hola guapa! Muy bien!" bekommt sie zu hören. Und googelt danach, was dieses "guapa" bedeuten könnte. Danach ist sie ganz stolz, was sie zu hören bekommt: "Hallo Schöne! Sehr gut!" Da radelt es sich gleich noch leichter.
Bergüberquerung die Zweite
Von Mocoa aus haben wir einiges vor. Zurück über die Berge zur Panamericana über die berühmt berüchtigte Strasse "El trampolin de la muerte", die ob ihrer Einspurigkeit, Ausgesetztheit und Steilheit seit der Fertigstellung 1933 schon über 500 Todesopfer gefordert hat. Diese Gefahr besteht für uns Radler natürlich nicht, aber die 1000en Höhenmeter auf steiler Schotterpiste sind eine radlerische Herausforderung.
Von Mocoa aus verfehlen wir die direkte Strasse und bleiben auf der Haupstrasse Richtung Süden, Richtung Amazonas Tiefland. Das bedeutet für Bine und mich zweierlei. Einerseits haben wir einen Umweg von 16 Kilometern auf teilweise schlechter Schotterpiste in Kauf genommen. Andererseits geraten wir in die erste und einzige Strassenblockade bei Villagarzon. Kein Auto verkehrt mehr. Dafür stehen viele Halbstarke auf der Strasse herum, bewaffnet mit Holzknüppeln und nicht unbedingt freundlich. Trotzdem dürfen Nicht-Motorisierte passieren, also auch wir. Blöd, dass wir die Abzweigung übersehen haben und wieder an der Strassensperre vorbei zurück mussten. Die Stimmung der Männer wird dadurch nicht besser...
Als wir nun endlich auf die richtige Schotterpiste gelangen sind wir auf unter 600 Höhenmetern. Die Anzahl der bevorstehenden Höhenmeter können wir nur erahnen. Übernachten tun wir noch bevor die Piste sich den steilen Hang in Serpentinen hinaufschraubt - unmöglich dort zu kampieren. So dürfen wir das Zelt bei einem Haus aufstellen. Tags darauf radeln wir 17 Kilometer hinauf zum ersten Pass. Wir sind langsam aber gut drauf. Und es ist eine echte Bergstrasse: mit vielen Serpentinen, unzähligen Bachdurchquerungen, tollen Ausblicken, super Wetter und immer höher werdenden Bergen. Traumhaft.
Uns überholt ein spanisches Radlerpaar, das auf Radlurlaub in Kolumbien und Ecuador unterwegs ist. Wir sehen sie wieder oben am Pass auf 2.200 Meter Seehöhe, wo auch wir in einem einfachen Lokal ein Almuerzo einnehmen. Danach geht die Strasse ein bisschen hinunter. Wegen der Steilheit des Geländes gibt es auch hier fast keine Häuser. Eines steuern wir am Abend an: das Restaurante "Buenos Aires", vor dem wir das Zelt aufstellen dürfen und ein lecker Abendessen einnehmen.
Nach einer kleinen Abfahrt, die aber auf der einspurigen Schotterpiste nicht sehr schnell vonstatten geht, beginnt dann der Anstieg zum 2. Pass. Hier gibt es steile Felswände, lange einspurige Abschnitte und zahlreiche Kreuze am Wegesrand, die die vielen Unglücke hier bezeugen. Von oben sehen wir bereits das breite Tal und Sibundoy, in dem wieder mehr Zivilisation herrscht - inklusive Asfaltstrasse.
Aber höhenmässig geht`s weiter wie eh und je. Pass 3 bietet einen tollen Blick auf die Laguna La Cocha, aber sehr viel Wind. Das Wetter ist kalt und nass. Unten in El Socorro essen wir geniale Forelle mit Beilagen, davor herrlich warme Suppe und Fruchtsaft für 2 Dollar. Wunderbar! Pass 4 ist hässlich, bringt uns aber endgültig über die Bergkette hinunter nach Pasto, das wir aber nur umfahren. Insgesamt 5.800 Höhenmeter, 13 Bachdurchquerungen, tolle Erlebnisse und eine eindrucksvolle Radlerstrecke. Absolut empfehlenswert!
Zurück auf der Panamericana geht`s einmal so weiter wie aus den vorangegangen Tagen gewohnt - hinauf. Viele Rennradfahrer trainieren hier. In der letzten Stadt vor Ecuador, Ipiales, kommen anscheinend viele Leute aus dem südlichen Nachbarland zum Einkaufen. Vor dem riesigen Supermarkt stehen mehr ecuadorianische SUVs herum als einheimische.
Dann geht`s hinunter zur Grenze zu Ecuador. Ausreise ohne Probleme - as usual. Hoffentlich auf Wiedersehen Kolumbien. Ein für mich tolles, beeindruckendes und sicheres Land. Der schlechte Ruf ist absolut nicht gerechtfertigt. Empfehlenswert für alle!